Wohin die wilden Kerle wollten
50 Tage allein in Alaska: Mit dieser Expedition geht für Aurel Lardy, Hélias Millerioux, Alex Marchesseau und Christophe Tricou ein Traum in Erfüllung. Doch der Trip durch die Wildnis hält einige Überraschungen für die vier Franzosen bereit.
„Egal wie hart es wird – Wetter, Pannen, Schwierigkeiten … dieses Team wird es bis zum Ende schaffen.“ Davon war Aurel überzeugt, und zwar mitten im Sturm, beim Aufstieg auf den Denali… Dabei waren er, Hélias, Alex und Christophe noch nie gemeinsam unterwegs gewesen!
Die Idee für die Durchquerung des Denali-Massivs kam von Alex, seines Zeichens Bergführer aus Chamonix. Er überzeugte Hélias, der gerade von einer Ski-Expedition mit Aurel aus Kirgisistan zurückgekehrt war, wo die beiden bereits über ein mögliches Projekt in Alaska gesprochen hatten. Christophe vervollständigte das Quartett. Mit seiner Erfahrung als Skifahrer, aber auch als Paraglider, Wingsuitflyer und Segler hatte das Team endlich alle benötigten Fähigkeiten für ihre Expedition zusammen. Doch noch wichtiger war ihnen ihre gemeinsame Vision: durch das Abenteuer zu einer tiefen menschlichen Verbindung zu finden.
Die Zahl Vier war kein Zufall, sondern strategisch durchdacht. Zu viert kann man sich bei Bedarf in Zweiergruppen aufteilen und gegenseitig Rückendeckung geben. Auch lassen sich sämtliche Aufgaben optimal verteilen, vor allem, wenn es darum geht, das Camp nach einem schier endlosen Tag aufzubauen. War einer mal zu müde, wurden seine Aufgaben einfach von den anderen übernommen. Diese Sicherheit, sowie das gegenseitige Vertrauen sollten sich während der gesamten 50-tägigen Expedition als entscheidend erweisen. Und das, obwohl sich Alex, Aurel, Hélias und Christophe nicht gerade als Sandkastenfreunde bezeichnet hätten. Doch bei einem Abenteuer dieser Größenordnung ist Solidarität eben keine Option, sondern eine Notwendigkeit.
Die Besteigung des 5.304 Meter hohen Mount Foraker war der Höhepunkt der Alaska-Expedition.
Als sie Anfang Mai in Alaska ankamen, empfing sie der nördlichste US-amerikanische Bundesstaat mit einem besonders langen und besonders harten Winter. Andauernde Stürme und Temperaturen weit unter dem Durchschnitt machten die Expedition schwieriger als erwartet.
Wenn Aurel heute daran zurückdenkt, erinnert er sich vor allem an die Summe des täglichen Unbehagens. Allgegenwärtige und unnachgiebige Kälte, nasse Kleidung und die psychische Belastung, die damit einhergeht, wenn man sich tagtäglich in einer solchen Umgebung aufhält. Das Team kämpfte oft mit Windböen von über 100 km/h – zusätzlich zur kräftezehrenden Routine, die Ausrüstung durch gefährliches Gelände zu tragen. „Wir hatten keine einzige bequeme Nacht,“ sagt Aurel. „Doch es sind genau diese schwierigen Momente in diesen Stürmen, an denen man wächst. Das vergisst man nie.“
Mit den gemeinsamen Herausforderungen wuchs auch die Verbindung zwischen den einzelnen Teammitgliedern. „Ich habe die anderen wie Weihnachtsmänner durch den Schnee stapfen sehen“, erinnert sich Aurel. „In diesem Moment waren sie für mich die stärksten Menschen der Welt.“ Als zwei von ihnen in eine Gletscherspalte stürzten, und die Gruppe auch diese äußerst kritische Situation souverän meisterte, war das Vertrauen innerhalb des Teams schlussendlich grenzenlos.
Alaska
Alaska ist der größte und gleichzeitig auch am dünnsten besiedelte Bundesstaat der USA. Allein die Hälfte der Bewohner:innen lebt in Anchorage, dem Zielort der Wild-Days-Expedition. Mehr als die Hälfte des Bundesstaates besteht aus Staatsforsten, Nationalparks und Naturschutzgebieten.
50 Tage vollständige Autonomie, das erforderte eine akribische Planung. Doch es heißt auch – und das sollte das Team bald lernen – die Ungewissheit zu akzeptieren. Ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war, für exakt 50 Tage Verpflegung mitzunehmen, darüber kann man streiten. Was wäre gewesen, wenn das Wetter die Expedition dramatisch verlängert hätte?
Darüber wollten Alex, Aurel, Hélias und Christophe lieber gar nicht nachdenken. Stattdessen stellten sie fest, dass es auch eine Herausforderung sein kann, 50 Tage lang dieselben gefriergetrockneten Mahlzeiten zu essen. Ein selbst gebasteltes Schild in der Nähe ihres Basislagers sollte das Problem lösen.
Und tatsächlich: die Aufschrift an der Unterseite einer Pulka „Coffee & hugs for food (too dirty for sex)” zeigt schon bald Wirkung und brachte andere Bergsteiger:innen dazu, vorbeizukommen und sich eine Umarmung abzuholen – vor allem aber, ihre Getränke zu teilen und Lebensmittel zu tauschen.
In über 5.000 Metern Höhe garantiert Glitzer auf den Wangen gutes Wetter für den Gipfelversuch.
Alex Marchesseau
Was die Moral der Truppe ebenfalls erheblich steigerte, war ein kleines Döschen voll Glitzer, mit dem die Vier versuchten, ihre Chancen auf einen Gipfelerfolg zu steigern. Alex ist jedenfalls davon überzeugt: „In über 5.000 Metern Höhe garantiert Glitzer auf den Wangen gutes Wetter für den Gipfelversuch. Unterhalb dieser Höhe ist er wirkungslos.“ Wir haben so unsere Zweifel an dieser Theorie. Aber wer mag, kann es ja bei der nächsten Expedition ein-fach mal ausprobieren.
Nach 43 Tagen alpiner Expedition begann dann der letzte und schwierigste Abschnitt des Abenteuers: die Rückkehr in die Zivilisation auf dem Wasserweg. Jetzt sollte es sich auszahlen, dass Christophe mit von der Partie war. „Am Anfang war es ganz schön ruppig, aber das Wasser ist eben mein Element“, erzählt er. „Manchmal habe ich die Boote der anderen ins Schlepptau genommen, um die Jungs zu entlasten.“
Das immer unübersichtlicher werdende Flussdelta war eine besondere Herausforderung für die Bergsportler.
Manchmal habe ich die anderen Boote ins Schlepptau genommen, um die Jungs zu entlasten.
Christophe Tricou
Ganze sieben Tage verbrachten die Vier auf dem Yentna River. Dann beschloss das Team, sich für die letzten 48 Stunden der Expedition zu trennen. Alex und Christophe navigierten ihre Boote durch das immer unübersichtlicher werdende Flussdelta. Aurel und Hélias legten den Weg lieber über das Marschland zurück. Das Gemeinschaftsgefühl der Gruppe war zu diesem Zeitpunkt so groß, dass alle auch mit dieser Entscheidung gut leben konnten.
Als die Vier endlich wieder in der Zivilisation ankamen, fühlten sie sich wie Außerirdische. Außenstehenden mag an diesem Tag vor allem die allzu deutliche äußere „Verwilderung“ der Gruppe aufgefallen sein. Doch für Alex, Aurel, Hélias und Christophe war die eigentliche Transformation eine innere. Aurel fasst es für das ganze Team folgendermaßen zusammen: „Ich habe heute nicht mehr dieselbe Sicht auf die Dinge, nicht mehr dieselbe Sicht auf den Menschen, nicht mehr dieselbe Sicht auf Anstrengung – und nicht auf das, was Engagement bedeutet. Dieses Abenteuer hat mein Leben verändert.“
Die vier Abenteurer verbrachten 43 Tage im alpinen Gelände und 7 Tage auf dem Wasser.
EOFT 2025 Programm
Wild Days ist Teil des EOFT 2025/26 Filmprogramms.