Zum Inhalt springen

Die Kunst der Fuge

Tom Randall und Pete Whittaker haben eine besondere Vorliebe für harte Rissklettereien. Unter einer Autobahnbrücke in Südengland fanden sie ihre bislang größte Herausforderung.

Wir haben mit Tom und Pete über ihr absurdes Kletterprojekt gesprochen.

Tom Randall
Pete Whittaker

Tom und Pete, kaum jemand teilt eure Vorliebe für extreme Rissklettereien. Seid ihr ein Dreamteam oder eine Schicksalsgemeinschaft?

Vor etwa zehn Jahren seid ihr im Film „Wide Boyz“ (EOFT 12/13) schon einmal so ein „Monster“ geklettert, den Century Crack in Utah, den schwierigsten Off-Width-Crack der Welt - jetzt war es eine 763 Meter lange Dehnungsfuge unter einer Autobahnbrücke in Südengland. Was war schwieriger?

Tom:

Die Brücke war sehr viel schwieriger als der Century Crack. Wir haben ordentlich gelitten. Es war eine der härtesten Routen, die Pete und ich jemals gemacht haben. Vor zehn Jahren hätten wir diese Route nicht klettern können! Aber seitdem haben wir eine Menge trainiert und Erfahrungen gesammelt und uns als Kletterer auch ein klein bisschen verbessert. Und das hat dieses Projekt überhaupt erst möglich gemacht.

Doch die Brücke war, zumindest für Tom, nicht die erste „urbane Kletterei“. Habt ihr zuvor schon einmal an Brücken oder Gebäuden geklettert?

Was hat euch bei diesem Projekt am meisten irritiert?

Pete:

Die Brücke hat sich bewegt! Wenn schwere Laster kamen, wurde der Riss erst enger und dann wieder breiter. Das war wirklich superseltsam. Man klemmt seine Hand rein, der Riss zieht sich zusammen und das fühlt sich erstmal gut an. Aber wenn der Riss dann wieder weiter wird - Das ist dann gar nicht mehr gut! Sowas habe ich noch nie erlebt. Aber unsere Sicherungen haben trotzdem die ganze Zeit gehalten.

Hattet ihr denn Angst, dass eure Sicherungen rausfallen?

Tom:

Im Film wird diese Sache gar nicht so richtig erklärt. Aber wir mussten da sehr vorsichtig sein. Die meisten Kletterer haben dieses Phänomen sicherlich noch nie erlebt, deswegen können sie sich nicht vorstellen, wie groß das Problem tatsächlich ist. Als wir am Ende der Brücke endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatten, hat sich gefühlt alles bewegt - als ob man seekrank wäre.

Wie kommt es, dass sich die Größe der Fuge verändert?

Wie war es, bei einem Kletterprojekt mit der Polizei konfrontiert zu werden? Das ist euch vorher doch noch nie passiert...

Tom:

Bei unserem ersten Versuch hat jemand die Polizei gerufen und wir mussten uns abseilen. In diesem Moment habe ich gedacht, dass wir jetzt richtig Stress bekommen, eine Strafe zahlen müssen oder dass sogar ein Eintrag im Strafregister fällig ist.

Pete:

Aber letztendlich konnten wir ganz offen mit der Polizei reden. Als sie verstanden hatten, was wir vorhaben und wir ihnen versichert haben, dass wir auf keinen Fall auf die Straße klettern würden, waren sie zufrieden.

© Zachary Barr

Habt ihr denn versucht, eine offizielle Genehmigung zu bekommen?

Tom:

Ich glaube, wir haben eine ganze Reihe von Behörden so gründlich verwirrt, dass alle irgendwann den Überblick darüber verloren haben, wer was genau erlaubt hatte. Es war ein sehr schwieriger Kompromiss. Aber wenn man zu viele Fragen stellt, dann lautet die Antwort auf jeden Fall Nein.

Habt ihr bei dieser Brückenkletterei noch etwas erlebt, dass euch noch nie zuvor passiert ist?

Würdet ihr sagen, dass ihr es bei diesem Projekt auf die Spitze getrieben habt?

Tom:

Das ganze Projekt war von Anfang an sehr seltsam. Aber während dieser Pandemie sind eine ganze Menge schräger Dinge passiert. Warum sollten wir da normal an die Sache rangehen wollen? Wir wollten doch in erster Linie Spaß haben. Es war einfach witzig unter einer Brücke zu hängen und Pizza zu bestellen. Klar, wir hätten auch einfach Sandwiches mitnehmen können, aber so war es lustiger. Und wir wollten uns ganz bewusst nicht zwischendurch abseilen.

Hat sich dieses Projekt denn für euch wie ein echtes Abenteuer angefühlt?

Mit eurem Film beweist ihr, dass sich das Abenteuer überall finden lässt. Es ist manchmal gar nicht nötig, allzu weit zu reisen. Was habt ihr sonst noch bei diesem Projekt gelernt?

Tom:

Die Herausforderung ist immer in deinem Kopf. Es kommt nur auf dein eigenes Kreativitätslevel an. Sei kreativ und mach das Beste aus dem, was du hast.

Hat sich euer Blick auf die Welt seither etwas verändert? Sucht ihr immer noch nach urbanen Kletterherausforderungen?

Denkt ihr, dass ihr einen neuen Trend kreiert habt?

Vielen Dank für das Interview!
Bert Willer ©